Leserfrage: Marie hat mir
geschrieben, dass sie zu Hause, im Freundeskreis und auf der Arbeit ständig das
Gefühl hat, der Sündenbock für alle zu sein. Ständig muss sie von ihrer
Schwester die Klamotten aus dem Weg räumen, weil sie im Zimmer nicht mehr
treten kann, oder ihre Freundin fängt an sie zu beleidigen, nur weil Marie ein
Kleidungsstück besser steht als der Freundin. Auf der Arbeit, so schreibt
Marie, die nebenbei an einer Supermarktkasse arbeitet, muss sie sich oftmals
von Kunden anschreien lassen, weil entweder die Schlange zu lang ist, oder die
Kunden irgendetwas nicht finden, was letzte Woche noch an einer ganz bestimmten
Stelle lag oder das Wochenangebot nicht mehr vorhanden ist. Marie schreibt,
dass sie bis vor kurzem diese Dinge immer an sich abprallen lassen konnte. Nun
aber merkt sie, dass genau das sie unglaublich viel Energie kostet.
Liebe Marie,
liebe Leser,
Marie hat Recht! Es kostet viel Energie. Und obendrein untergräbt sie
dadurch auch ihr Selbstvertrauen. Starke Persönlichkeiten lassen es nicht zu,
dass man derart respektlos mit Ihnen umgeht.
Deshalb meine ich, wehren Sie sich, Marie, und zwar sofort! Ich weiß, es
kostet ein wenig Überwindung. Aber das gibt sich, wenn Sie erst einmal die
Veränderung spüren.
Wenn Ihre Schwester das nächste Mal ihre Klamotten rumliegen lässt,
dann räumen Sie sie nicht weg. Halten Sie die Situation aus, und warten Sie,
bis sie nach Hause kommt. Sprechen Sie sie an, und zwar ganz freundlich: „ Du
hast übrigens heute Morgen vergessen, deine Sachen wegzuräumen.“ Wenn Sie gleich
darauf den Raum verlassen, geben Sie Ihrer Schwester Zeit zum Nachdenken und
verhindern damit auch gleichzeitig mögliche Diskussionen.
Es ist nicht richtig, dass Ihre Freundin Sie beleidigt. Nehmen Sie das
nicht einfach so hin. Reagieren Sie sofort, bestimmt aber freundlich.
Wahrscheinlich hat Ihre Freundin gar nicht wahrgenommen, dass sie Sie gerade
beleidigt hat. Sie könnten sagen, „Autsch, das hat mit gerade weh getan.“, oder
„Ist dir eigentlich bewusst, dass du mich damit gerade beleidigt/ verletzt
hast?“. Sie werden in den meisten Fällen an der Reaktion des anderen merken,
dass er es tatsächlich gar nicht mitbekommen hat, wie er Sie verletzt hat. Und
noch etwas:
Wenn ein Mensch solche Verhaltensweisen aufweist, ist es möglich, dass
er sie nicht von heute auf morgen abstellen kann. Geben Sie ihm Zeit und helfen
Sie ihm dabei, indem Sie ihn immer wieder bei jeder Gelegenheit darauf
aufmerksam machen.
Auch Ihre Kunden dürfen Sie freundlich, aber bestimmt in ihre Schranken
weisen. Fragen Sie doch ruhig einmal Ihre Kunden, ob ihnen bewusst ist, dass
sie Sie gerade anschreien. Vielleicht überwinden Sie sich sogar und sagen: „Ich
bitte Sie, etwas leiser zu mir zu sprechen.“
Probieren Sie es aus. Sie werden sehen, je öfter Sie diese Taktik
anwenden, desto freundlicher und respektvoller wird man mit Ihnen umgehen.
Ihre
Sophie Weihenstein